....Roll on again! |
Vor 50 Jahren waren in Ost- wie in Westdeutschland
kleine bunte Motorroller ein fester Bestandteil der Volksmotorisierung und solch
legendäre Marken wie Heinkel, Zündapp und co. ermöglichten mit etwas Ausdauer und der
nötigen Zeit die ersten Italienurlaube. |
Auch in der DDR erhörte die Staatsführung den Ruf
des Volkes nach einem großen Motorroller und so wurden südlich von Berlin in
Ludwigsfelde die beliebten Roller der Typen Pitty, Wiesel,
Berlin und Troll gebaut. Allesamt mit bewährter Technik der
jeweiligen MZ Typenreihen waren es robuste und einfach zu reparierende Konstruktionen mit
einer zeitlos schönen und klassischen Linienführung. |
Da damals 1960 noch keine Mauer den Weg in das
westliche Ausland versperrte und auch der Osten zeigen wollte was er kann, entsendeten die
Industriewerke Ludwigsfelde eine Abordnung von Rollerfahrern und dem aktuellen Modell, dem
IWL SR 59 Berlin zum Treffen der internationalen Motortouristen nach Baden bei
Wien. |
Diese Fahrt ist seit dem eine Legende unter den
IWL- Rollerliebhabern der Neuzeit. Beim letzten großen Szenetreffen in der Geburtsstadt
der inzwischen historischen Fahrzeuge im Jahre 2010 hielt der Rollerfachmann und
Teilnehmer dieser Fahrt, Manfred Blumenthal, einen Lichtbildvortrag dieser
Zuverlässigkeitsfahrt. |
Kennt jemand die Energie die sprichwörtlich von
einer Initialzündung ausgehen kann? Nein? Einige Teilnehmer dieses Abends
spürten sie sofort und spontan wurde noch am Biertisch beschlossen: Diese Fahrt
wiederholen wir! Wir, das sind die Mitglieder des IWL- Motorrollerforums welches als
Plattform rund um das gemeinsame Hobby geschaffen wurde. Natürlich war uns klar, das da
eine Menge Vorarbeit zu leisten ist und auch leider nur eine sehr begrenzte Anzahl an
Teilnehmern diese 2. IWL Zuverlässigkeitsfahrt mitmachen könnten, denn aus der Erfahrung
der großen Treffen wusste man ganz genau was es bedeutet, wenn sich 120 zwei- taktende
Roller in Bewegung setzen. |
Es wurde fast ein Jahr lang konspirativ geplant, 7
Teilnehmer nebst 2 Begleitfahrzeugen auserkoren, Streckenplanungen ausgearbeitet,
Ersatzteillisten erstellt ect. und dann nach 51 Jahren war es am 28.05.11 an gleicher
Stelle soweit, das Abenteuer einer 1700 km langen Fahrt konnte beginnen. 7 Roller, ein VW
T4 Bus und der Tradition folgend ein Kleinbus der Marke Barkas B1000 starteten
Richtung Süden. |
Als besonderes I-Tüpfelchen der Aktion hatte auch
besagter Manfred Blumenthal mit seinen 73 Jahren seine Teilname am Berlin Prag
Wien Racing auf eigenem Roller zugesagt, wofür ihm wohl großer Respekt gezollt
werden sollte. |
Die einzelnen Etappen waren auf ca. 200 250
km Tagestouren aufgeteilt, also eine machbare Sache. Wer nun denkt, Rollerfahrer, naja die
sind eh etwas anders, der hat Recht: es bildete sich eine tolle Truppe heraus, die auch
abends in den gemütlichen Tschechischen Gasthäusern oder österreichischen
Heurigenschänken entsprechende Standfestigkeit bewies. Die Touren führten fernab der
Autobahn durch herrliche Landstriche, es wurden Berge im 2. Gang bezwungen und an so
manchem Gefälle die Bremsen zum Glühen gebracht. Unser aller Hoffnung bestätigte sich
und wir sind ohne den kleinsten technischen Defekt in Baden bei Wien angekommen. Da das
Sitzfleisch bis auf das äußerste strapaziert wurde, nutzten wir den ersten
Tag für eine Fahrt nach Wien, um uns den Massen asiatischer, digitalkamera-bewaffneter
Touristen anzuschließen , zu Fuß diverse Muskelverspannungen zu lösen und den
kulturellen Teil der Reise zu genießen. |
Jedoch dauerte es nicht lange und die Roller
wollten wieder benutzt werden. Also ging es am 2. Tag ganz der Tradition wie vor 51 Jahren
folgend in Richtung Alpen zu einem Tagesausflug an den Schneeberg. Dies war dann wohl
endgültig für jeden Rollerpiloten die Bestätigung ja wir haben es geschafft,
mein Berliner vorm Alpenpanorama und ein gewisser und verdienter Stolz stand jedem
ins Gesicht geschrieben. |
Nach einem weiteren und sehr ausgiebigen Abend in
einer dieser typischen österreichischen Weinschenken ging es nun Tags darauf wieder daran
die Heimreise anzutreten, einfach gesagt Heimreise bedeutet dies doch, dass
nun die 2. Halbzeit des Abenteuers beginnt. Also wurden letzte Wartungsarbeiten
durchgeführt, z.B. dem Unterbrecher Manieren beigebracht, zufällig entdeckte Zündkerzen
mit falschem Wärmewert gegen die richtigen getauscht und so manches Nebengeräusch in die
Kategorie unwichtig oder weiterfahren und beobachten unterteilt.
Die Rückfahrt führte die kleine Truppe tapferer Recken wieder durch die unendlichen
Weiten Mähren und Böhmens. Unterwegs wurden kleine Landgasthöfe angesteuert, die in
einer Zeitkapsel eingeschlossen schienen und überall am Wegesrand grüßten die Passanten
stets freundlich. |
Abendliche handwerkliche Einlagen wie der Tausch
eines Motors wegen Schaltproblemen gerieten Dank ausreichender Mengen an gutem
tschechischem Bier mit dem gewöhnungsbedürftigen Namen Velko-popovický
Kozel und erstklassiger Stimmung zu einer willkommenen Abwechslung. |
Anderntags dann das totale Kontrastprogramm zur
ländlichen Idylle, die Fahrt quer durch Prag im regen Feierabendverkehr. Die Roller
lechzten nach 220 km Tagestour nach Ruhe, jedoch mussten sie noch 20 km lang diversen
Kamikatzeangriffen Prager Autofahrern standhalten. So viel steht fest: Prag ist nicht nur
ein heißes Pflaster, sondern dort wird auch ein heißer Reifen gefahren! |
Da Rollerfahrer von Natur aus sich nur sehr ungern
weiter als 2km zu Fuß bewegen, musste man schon einige Überredungskunst anwenden, um die
Truppe zu einem Spaziergang entlang der Prager Sehenswürdigkeiten wie Hradschin oder der
Karlsbrücke zu überreden. Sicherlich spielten hier auch die Anstrengungen der letzten
Tage und die inzwischen vorgerückte Stunde eine Rolle. |
Tags darauf war alles wieder beim alten, die Sonne
schien, wie übrigens all die Tage zuvor, Prag lag hinter uns und die kleinen Zweitakter
witterten Heimatluft und gaben sich ganz besondere Mühe. Da konnten auch eingefahrene
Nägel und 7 km andauernde Steigungen sie nicht aufhalten, am Nachmittag verließen wir
Tschechien um uns für den letzten gemeinsamen Abend in einer kleinen gemütlichen Pension
im Erzgebirge einzunisten. Nun kam auch langsam die Wehmut auf, das Abenteuer neigte sich
dem Ende und an diesem Abend fühlten sich fast alle genötigt, ihre Sentimentalität mit
einer Runde Magenbitter zu bekämpfen, welche dann auch die nötige Bettschwere erzeugte. |
Der letzte Tag brach an und man merkte an diesem
Sonntag, das alle auch wieder froh waren nach Hause zu kommen und so wurde die letzte
Etappe von 200 km in knapp 4 Stunden Fahrzeit bezwungen und jeder Roller erreichte auf
eigener Achse Sonntagmittag das Ortseingangsschild von Ludwigsfelde. |
Glück, Zufriedenheit, Müdigkeit und Stolz waren
allen ins Gesicht geschrieben, die Strecke wurde ohne einen Totalausfall in 36 Stunden
reiner Fahrzeit bewältigt und 10 von 12 neuen Helden der Szene verluden ihre
zuverlässigen Zweiräder, um die Heimfahrt in alle Teile Deutschlands anzutreten. |
Manfred aus Grossbeeren und Bert aus Berlin traten
wie bei der Anreise auch die Heimreise auf eigener Achse mit ihren Rollern an. |
(Bert´s Roller hatte nach der Tour 1772 km mehr
auf dem Tacho) |
Was bleibt nach so einer Tour? Viele neue
Eindrücke, schöne Erinnerungen, Sonnenbrand und die Erfahrung: Auch nach 51 Jahren
reichen 12 Reifen, 143 ccm und 6,5 PS aus um die kleine große Freiheit zu
erfahren. |
Vielen herzlichen Dank an alle, die mitgeholfen
haben, dieses kleine Träumchen wahr werden zu lassen und Finger weg vom Routenplaner, |
Ludwigsfelde - St. Petersburg ist eine Strecke
schon an die 1700 km! |
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Tourverlauf: |
28.05. Ludwigsfelde nach Teplice über Dresden 241
km |
29.05. Teplice nach dár nad Sázavou, nähe
Brno 276 km |
30.05 dár nad Sázavou nach Baden bei Wien
251 km |
1.06. Ausfahrt zum Schneeberg unternommen 139 km |
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02.06. Baden nach Rosice 192 km
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03.06. Rosice nach Prag 231 km |
04.06. Prag nach Höckendorf (Osterzgebirge in
Sachsen) 158 km |
05.06. Ankunft Ludwigsfelde 212 km |
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