Bericht zum SR 59 Berlin erschienen in der Zeitschrift

"Jugend und Technik" Juli 1959  

  Temperament aus Ludwigsfelde

   von Gerd Salzmann  

Soeben bin ich von einer Probefahrt zurückgekommen. Er ist also da, er, von dem man schon hier und da munkeln hörte. Von wem ich spreche, wollen Sie wissen? Nun ja, vom "Berlin", dem neuen Motorroller, der von jetzt an die Straßen unserer Republik bevölkern wird. Der VEB Industriewerke Ludwigsfelde zeichnet für die Konstruktion des "Berlin" verantwortlich und hat so mit glücklicher Hand seine Rollerentwicklung fortgesetzt.
Stoßen Sie sich nicht an dem Namen, ich habe ihn nicht gemacht. So schlecht ist er auch gar nicht. Wenn die Eisenacher ihren Wagen nach einer Burg benennen, warum sollen dann die Ludwigsfelder nicht den Namen ihres neuen Rollers von unserer deutschen Hauptstadt ableiten? Sicher, man hätte auch die Bezeichnung "Wiesel" lassen und mit einem Zusatz versehen können (vielleicht "Wiesel II" oder "Wiesel 59" usw.), aber jetzt ist der "Berlin" geboren, und wir sollten uns damit abfinden. Ich möchte annehmen, dass auch dieser Name bzw. das, was sich dahinter verbirgt, bald allgemeine Anerkennung finden wird. - Meine "Wieselableitungen" stammen übrigens nicht von ungefähr; wenn man so flüchtig hinblickt, ist es nämlich ein "Wiesel" geblieben. Wenn man den "SR-59", wie die Typbezeichnung lautet, allerdings genauer unter die Lupe nimmt, dann sieht man einige Veränderungen. Wenn man unter die Haube blickt, sieht man mehr, und wenn man ihn fährt, spürt man noch mehr. Lassen Sie mich mit der Schilderung des letzteren beginnen.

Inhaltsreiche Kilometer
Es war reiner Zufall, dass ich an einem Tag nach Ludwigsfelde kam, als man dort gerade dabei war, die Streckenführung für ein Roller-Trial festzulegen. Wenn man als erster Presse-Vertreter das Glück hat, die sorgsam gehütete Neuschöpfung just zu diesem Zeitpunkt in die Hände zu bekommen, dann ist es schon kein Zufall mehr, dass man sogleich gebeten wird, die Strecke abzufahren. So erging es mir also. Die Kollegen des Industriewerkes gaben mir einen "Berlin", zeigten recht genau den Verlauf des Trials und warteten auf die Dinge, die dann von meiner Seite kommen sollten. Da ich, ehrlich gesagt, genauso gespannt war wie sie, wollte ich unsere Ungeduld nicht auf eine so harte Probe stellen, startete und gab Gas.
Was dann kam, überstieg zwar kaum meine Erwartungen, war aber doch so, dass die Kollegen sich hinterher einigten, die für ihre Solidarität bekannten Rollerfahrer nicht ganz so harten Bedingungen aussetzen zu wollen. Schließlich ist das Wort "absteigen" ein Aktivum, und niemand hat es gern, wenn daraus mit einem Schwupp ein Passivum wird. Das ich dieses Wort überhaupt nicht gebrauchen musste, war vor allem das Verdienst des "Berlin". Die ausgezeichnete Straßenlage des "Wiesel" ist hinreichend bekannt. Beim SR-59 ist sie nicht schlechter geworden, denn in seinem Grundaufbau gleicht er ja seinem Vorgänger. Was sich aber gerade im welligen Gelände, also bei Bodenunebenheiten, bemerkbar macht, das ist einmal der um 50 Prozent erweiterte Federweg des Vorderrades, der demnach jetzt 110 mm beträgt. Gleichfalls stellt man mit Freuden fest, dass sich auch hinten etwas geändert hat. Gerade bei der Durchfahrt von Straßenlöchern habe ich in der Vergangenheit oftmals bemerkt, dass der "Wiesel" hart durchschlagen konnte. Im Industriewerk hat man nun in die Parallelogrammfederung des Hinterrades einen Stoßdämpfer eingezogen, der spürbare Wirkung ausübt.
Am wichtigsten erscheint mir aber das Temperament. Ja, der neue Roller ist entschieden temperamentvoller als der "Wiesel". Zwei Dinge sind es, die dieses Temperament verbürgen. Einmal die aus dem höheren Hubraum stammende größere Leistung und zum anderen das Vierganggetriebe, das naturgemäß günstigere Gangabstufungen ermöglicht als ein Dreiganggetriebe. Doch davon später.
Selbstverständlich habe ich am ersten Tag meiner Bekanntschaft noch mehr gemacht als lediglich gewaltiges Gelände zu durchfahren. die Trialstrecke war nur eine Kostprobe. Auf Autobahn, Landstraßen und örtlichem "Bonbonpflaster" habe ich mich anschließend über viele Kilometer mit dem "Berlin" herumgetrieben. Dabei hat sich mein erster Eindruck nur verstärkt. Die Federungseigenschaften sind ausgezeichnet, sie werden aber meinen Erachtens noch durch die Schaumgummisitze nach dem Muster der zschopauer ES-Typen verstärkt. Dass ich beim ausgesprochenen Waschbrettchausseen ins springen kam., liegt nicht am Roller, sondern vielmehr daran, dass ich ein Leichtgewicht darstellte. Da der Roller stets in seiner Spur blieb, war es offensichtlich mehr ein Sitzfeder-Springen.
Spreche ich von Geschwindigkeit, so kann ich mich ebenfalls befriedigend äußern. Außer an der Stelle wo es notwendig war, bin ich kaum einmal unter 75 km/h gegangen. Auf der Autobahn wurden aber gute 80 km/h erreicht, so dass wohl auch von dieser Seite her das Temperament bewiesen ist. Dass Kollegen des Ludwigsfelder Werkes mit zwei Personen liegend 90 km/h erreichten, erscheint mir nach meinem Eindruck als durchaus glaubhaft. Bleibt noch zu erwähnen, dass die Geräuschentwicklung sich positiv verändert hat. Die von den schon genannten ES-Motorrädern abgeleiteten Auspuffanlagen wie auch neue Ansauggeräuschdämpfung sind auch für den Unkundigen sofort spürbar.

Blick unter die Haube....
und viele Details                                 
Mag die kurze Fahrschilderung als Charakteristik des neuen Fahrzeuges gelten. - Weit oben beschrieb ich schon, dass einige Veränderungen am "SR 59 Berlin" gegenüber dem "SR 56 Wiesel" festzustellen sind. Da ist zunächst, geht man einmal von vorn nach hinten, das Armaturenbrett zu nennen. Es ist bei gleichgebliebener äußeren Gestalt inhaltlicher geworden. Links ist, wie auch zuvor, das Zündschloss. Es wurde, wie bei unseren Motorrädern üblich, mit einem Abdeckschieber versehen. Somit kann bei abgestelltem Fahrzeug kein Regenwasser mehr eindringen. Rechtsseitig ist das Tachometer in allbekannter Art und Größe. Zwischen beiden Armaturen hat nun das Platz gefunden, was bestimmt schon von allen "Pitty"- und "Wiesel"-Fahrern vermisst wurde, das Lenkerschloss. Damit ist nun der Roller gegen Diebstahl bzw. unbefugtes Benutzen umfassend gesichert. - Zu beiden Seiten des Armaturenbretts wurden je zwei Kontrolllampen symmetrisch angeordnet. Während drei davon zur Ladekontrolle, Leerlauf- und Gebläse-Kontrolle dienen, handelt es sich bei der vierten um eine Blindlampe. Je nach Bedarf kann diese Lampe zum Anschluss einer Fernlicht- oder Blinker-Kontrolle herangezogen werden. Soviel dazu.
Das nächste, was auffällt, ist die Sitzanordnung. Hier wurden zwei Einzelkissen, so wie sie von MZ verwendet werden, auf einen durchgehenden Rahmen montiert. Dieser Rahmen, besser gesagt, diese Rahmenplatte ist ab klappbar und ermöglicht den Zugriff zu Werkzeugbehälter und Kraftstoff- Einfüllstutzen. Damit auch hier eine Diebstahlsicherung, die bisher immer wieder gefordert wurde, vorhanden ist, macht man die ganze Anordnung verschließbar. Dass dazu der gleiche Schlüssel wie für das Lenkerschloss dient, sei nur am Rande vermerkt. Ebenfalls, allerdings recht dankbar, sei vermerkt, dass die seitliche Abdeckplatte für Benzinhahn und Schwimmergehäuse jetzt nicht mehr verschlossen wird, sondern nur noch einen Schnapper trägt. Wer einmal beim Wiesel den Schlüssel vergaß, und dann auf Reserve umschalten wollte, kann den Vorteil gut einschätzen
Öffnen wir einmal die Haube, um zu sehen, was es darunter neues gibt. Die erste Neuigkeit ist der veränderte Haubenträger. Die Haube liegt jetzt vorn am Bodenbrett und hinten rückwärts vom Kraftstoffbehälter auf. An eben diesen Stellen wird sie auch verschraubt. Die neue Anordnung hat zwar den kleinen Nachteil, dass die hinteren beiden Schrauben unter dem Reserverad schwerer zugänglich sind, aber den Vorteil, dass endlich das Einfädeln der seitlichen Befestigungsschrauben aufgehört hat. Da das zur gleichen Zeit auch eine Stelle ständiger Rostbildung war, ist also die Verlegung der Haubenbefestigung vollauf berechtigt. Von der Federung habe ich schon einiges berichtet. Es sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass die vom "Wiesel" her bekannte Parallelogrammschwinge linksseitig einen Stoßdämpfer erhalten halt. Was noch nicht gesagt wurde, ist, dass die beidseitigen Gummidämpfer, die in ihrer Wirksamkeit bisher nicht ausreichten, ringförmig vergrößert wurden und bereits im unbelasteten Zustand auf der oberen Schwinggabel aufliegen. Sie schwingen als auf- und abwärts in gleichem Maße mit und geben dadurch eine zusätzliche Dämpfung ab. Soweit das, was auf den ersten Blick unter der Motorhaube auffällt. Was man nicht sehen kann, aber was sich mittlerweile schnell herumgesprochen hat, ist die Vergrößerung von Hubraum und Leistung des neuen Rollers. Auf der Grundlage des bekannten MZ-125-Motors wurde durch neuen Kolben und Zylinder der Hubraum vergrößert. Bei einem Hub von 58 mm und einer Bohrung von 56 mm beträgt der Hubraum 143 ccm. Unter einer Verdichtung von 7,75 : 1 gibt dieser Motor eine Höchstleistung von 7,5 PS bei 5100 U/min ab. Es ist demnach real, mit einer Dauerleistung von 6,5 PS bei 4000 U/min zu rechnen. Es ist klar, dass diese Leistung gegenüber der des Wiesel eine bedeutsame Steigerung darstellt. Hinzu kommt, dass nunmehr ein Vierganggetriebe zum Einbau kam. Mit den Abstufungen           
1. Gang 18,4 : 1
3. Gang 7,73 : 1
2. Gang 10,8 : 1
4. Gang 6,02 : 1
wurde ein allen Gegebenheiten Rechnung tragendes Getriebe geschaffen. Geschaltet wird auch beim Berlin wie bei seinem Vorgänger durch einen einfachen Fußhebel, der durch Zurückziehen zum ersten Gang und nach-vorn-Schieben zum zweiten, dritten und vierten Gang betätigt wird. Wenn auch viele Leute eine sogenannte Schaltwippe fordern, so ist mir doch kein Fall bekannt, wo die hier zum Einbau gekommene Schaltanlage irgendwie von Nachteil gewesen wäre! Gewiss, man hat in der ersten Zeit schon seine Mühe und Not, um den Leerlauf hineinzukommen, aber schwierig ist es im Grunde genommen nicht. So viel zu Schaltung und Getriebe.
Sehen wir uns nun aber unter der Motorhaube weiter um. Da ist zunächst einmal, um an der linken Seite zu bleiben, das Lüfterrad des Gebläses, dessen Tunnel einen Formgummiaufsatz erhielt, um die Frischluft nur noch von außen durch die seitlichen Schlitze in der Haube anzusaugen. Sehr wichtig ist bei einem Gebläse auch die Kontrollmöglichkeit. Damit war es beim Wiesel nicht allzu gut bestellt. Die kleine Klappe, die durch den Luftstrom des Gebläses angehoben wurde, zeigte des Öfteren Klemmneigungen und gab damit keine garantierte Kontrolle für das einwandfreie Arbeiten des Kühlgebläses. Die neuen Gebläsekontrollanlage, die auf dem Prinzip des Fliehkraftreglers beruht, schaltet endgültig diese Fehlerquelle aus und arbeitet unter allen Klima- und Geländebedingungen einwandfrei.
Sprach ich soeben von dem Formgummi am Gebläse, so hat dieser noch einen Gegenpol, der ebenfalls zu erwähnen wäre. Es ist ein Aufsatz auf dem Naßluftfiler, der wiederum die Frischluftzufuhr durch seitliche Schlitze in der Motorhaube sichert. Es ist verständlich, dass alle diese kleinen Dinge recht bedeutsam sind. So kann man mit der Weiterentwicklung des Wiesels, wollte sagen mit dem Roller Berlin, durchaus zufrieden sein. Was das Bild noch abrunden mag, sind einige Leistungsdaten. Der Roller hat im, ersten Gang ein Steigvermögen von 33 Prozent, er erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h, was aber nach meinen Erfahrungen eher zu niedrig als zu hoch gegriffen ist. Als Kraftstoffnormverbrauch wurden vom Werk 2,8l/100 km ermittelt. Bei einer Dauergeschwindigkeit von 60 km/h wird man mit einen Verbrauch von 3,2 l/100 km, das ist meine private Messung, rechnen müssen
Bliebe nur noch zu sagen, dass das neue Fahrzeug mit seinen vielen Verbesserungen zum alten Preis des Wiesels im Handel erhältlich ist.

Quelle;  Zeitschrift- Jugend und Technik / Archiv: Bert N.

Copyright © www.iwl-stadtroller-berlin.de

Stand: Februar 2009